Ein kleiner Vorgeschmack auf den geplanten 2. Band
An Bord der Fjord, vor der Nordküste Islands 1895 n. Chr.
»Kapitän, das sollten Sie sich ansehen!« Der erste Maat kam aufgeregt in die Kajüte gestürmt. Kapitän Larsson war sofort hellwach und sah griesgrämig drein wie immer.Der Maat fuhr bereits seit über einem Jahrzehnt mit ihm zusammen zur See und war nicht leicht aus der Ruhe zu bringen, daher war Larsson geneigt, sich anzusehen, was er ihm zeigen wollte. Aus praktischen Gründen schlief er immer in seiner Kleidung und warf sich nur schnell einen Mantel über, bevor er seinem Maat in die kalte Nacht hinaus folgte. Ihr Fischkutter war nicht groß und so erreichte er bereits eine Minute später das Deck, wo er seine restlichen sieben Männer unschlüssig vor einem der großen Fangkörbe stehen sah. Sie tuschelten leise miteinander, und ihr Atem stieg als kleine Dampfwölkchen in den Himmel hinauf. Es war eine ungewöhnlich dunkle Nacht. »Holt noch ein paar Laternen«, befahl er ihnen, um besser sehen zu können, was sich darin befand. Larsson wartete, bis sie zurückkehrten, und trat dann näher an den Fang heran, der sie so zu verstören schien. »Was bei Njörds Dreizack ist das?«, entfuhr es jetzt sogar ihm ungläubig, während er das Ding anstarrte, das seine Männer mit dem Käfig aus dem Wasser gezogen hatten. Es besaß die Form eines Delphins, war jedoch vollständig mit einer schwarzen Masse überzogen, die er im ersten Moment für Öl hielt. Als einer seiner Männer mit einer Sturmlaterne noch näher herantrat, erkannte er seinen Irrtum. Die schwarze Masse wirkte seltsam lebendig und zuckte vor dem Licht zurück, als hätte sie sich verbrannt. Sie erschien jetzt wie dichter Nebel oder Rauch, der sich verzog. Dabei wurden einige Stellen des verschlungenen Tieres sichtbar, von dem nur noch Knochen übrig waren, die im Licht der Laterne schaurig bleich schimmerten. Der Matrose wich vor Schreck einen Schritt zurück, und sofort schloss sich das schwarze Zeug wieder über seiner Beute zusammen, als das Licht nicht mehr darauf fiel. Der erfahrene Kapitän hatte schon einiges gesehen, doch das hier ging nicht mit rechten Dingen zu. »Werft es zurück ins Meer, ich will es nicht auf meinem Schiff haben«, befahl er darum, und seine Männer atmeten erleichtert auf. Er erinnerte sich, vor ein paar Tagen von einem seltsamen Wetterleuchten gehört zu haben. Dabei war es um diese Jahreszeit noch viel zu früh dafür, selbst in diesem nördlichen Teil Islands, und einige Gäste der Hafenschenke hatten mit zunehmendem Alkoholgenuss die wildesten Theorien geäußert. Als ob ein dunkler Stern brennend vom Himmel ins Meer gefallen wäre und der Vorbote schrecklichen Unheils sein sollte. Sie hatten es als schlechtes Omen gesehen und allen geraten, vorerst nicht aufs Meer hinauszufahren. Larsson schüttelte den Kopf. Manches Seemannsgarn war selbst ihm zu viel. Die Männer stellten die Laternen auf den Boden und griffen nach ihren langen Stangen, um den Käfig aus sicherem Abstand vom Deck zurück ins Meer zu schieben. Er wollte sich gerade wieder abwenden und zurück in seine Kajüte gehen, als einer der Männer plötzlich aufschrie. Larsson fuhr herum. Das Ding hatte sich über die Stange hinauf um den Arm des Mannes geschlungen. Weitere schattenhafte Ausläufer schossen jetzt wie dunkle Tentakeln aus der Delphinform hervor und griffen nach Larssons anderen Männern, die panisch versuchten sie von sich abzuschütteln, doch es gelang ihnen nicht. Der Kapitän stand zunächst wie erstarrt und sah entsetzt dabei zu, wie das Schattending sich weiter ausdehnte, um seine Männer zu verschlingen. »Weg mit dir!« Geistesgegenwärtig griff Larsson jetzt nach einer der Laternen und hielt sie dem Wesen entgegen. Es zischte wütend, was aber genauso gut ein Lachen sein konnte, bevor es ihm in einer schnellen Bewegung die Laterne aus der Hand schlug. Der alte Seemann taumelte rücklings zu Boden und musste hilflos mitansehen, wie das Ding mit seinem grausigen Mahl fortfuhr. Seine Männer hatten keine Chance. Als das Wesen fertig war, zog es sich zurück und formte die feste, schattenhafte Gestalt eines Mannes, als würde es sie imitieren und verhöhnen. Die toten Körper der unglücklichen Seeleute ließ es dabei achtlos zu Boden fallen. Sie wirkten unnatürlich blutleer und boten keinen schönen Anblick mit der eingefallenen Haut und den herausstehenden Knochen. »Ich war es langsam schon leid, mich nur an dem Getier zu stärken.« Larsson hörte eine verzerrte Stimme in seinem Kopf, und seine Augen weiteten sich vor Schreck. Das Ding konnte zu ihm sprechen. Er wollte sich bewegen und fliehen, doch etwas hielt ihn an Ort und Stelle fest. »Ich weiß wirklich nicht, was sie an euch Menschen finden«, höhnte das dunkle Geschöpf weiter, ohne ihm zu verraten, von wem es sprach. Larsson betete nun zu allen ihm bekannten Göttern, es möge wenigstens schnell vorbei sein, doch anscheinend hatte das Wesen andere Pläne mit ihm. »Du darfst dich glücklich schätzen, denn ich kann dich noch brauchen, um mir eineschützende Hülle am Tage zu sein.« Bevor Larsson begriff, wie diese Worte gemeint waren, hatte das Wesen bereits begonnen, sich wieder in Nebel aufzulösen und sich ihm in finsterer Absicht zu nähern. Er konnte nichts dagegen tun, als der Nebel durch jede seiner Poren in seinen Körper drang. Es war ein unangenehmes Gefühl, wie tausend feiner Nadeln, die durch seine Haut gestochen wurden. Larsson schrie seinen Schmerz ungehört in die stille Nacht hinaus, bis er seinen Körper nicht mehr richtig spüren konnte und sich selbst nur noch dumpf wie ein Gast darin fühlte. »Und jetzt bring mich an Land, es gibt noch viel zu tun«, befahl das Wesen, und Larsson konnte nicht anders, als diesem übermächtigen Willen zu gehorchen, der dunkel in seinem Verstand tobte und ihn zu zerreißen drohte. In diesem verzweifelten Augenblick wünschte er sich, er hätte das schlechte Omen ernst genommen.